Begegnungen entlang des Radweges Leipzig - Berlin. Corona - Frühling 2021.
Winter 2020.
Persönliche und existentielle Unsicherheiten sind durch Corona zum Mainstream geworden und betreffen nicht mehr nur die Kunst- und Musikszene, sondern fast alle Menschen, denen Sicherheit und Beständigkeit immer vorgeht und vorgehen wird. Während die Politik versucht, die humanen und finanziellen Schäden durch das Virus mit entsprechenden Massnahmen auf ein Minimum zu begrenzen, weiten sich die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern. Die vermeintliche Bedrohung durch Flüchtlinge ist von einer angeblichen Weltverschwörung um Bill Gates und die Staatsgewalten abgelöst worden. Verschwörungstheorien sind nicht nur unterhaltsam, sondern tragen auch zur Entfremdung zwischen Freunden und Familien bei. Der Gegner ist mittlerweile nicht mehr nur allein SARS-CoV-2, sondern der Mensch ohne Maske, der/die mit der anderen Ansicht, die podcastenden Wissenschaftler*innen oder der maulkorbverpassende Staat.
Da mich meine eigene Situation als freischaffender Musiker, sowie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung sehr beschäftigt, und ich mich als Musikschaffender und Zeitzeuge in einer Situation befinde, die mich finanziell und künstlerisch auf eine harte Probe stellt, möchte ich die Situation nutzen, um etwas zu schaffen, das nicht nur gut für mich ist, sondern auch zum Nachdenken und zur Verständigung anregt.
Um möglichst viele unterschiedliche Stimmungen aufzufangen, und mich ausserhalb meiner politischen und menschlichen Komfortzone musikalisch inspirieren zu lassen, fasse ich einen Plan. Ich will den Kontakt zu Menschen unterschiedlicher Couleur aus meiner Heimatstadt Leipzig und entlang des Radweges Leipzig-Berlin suchen.
3 Tage unterwegs, 15 spontane Filminterviews mit Menschen, die mir auf der Strecke begegnen, und mehrere verschiedene hierfür von mir komponierte und eingespielte Songs.
April 2021
Zum Zeitpunkt meiner Radtour laufen die Corona-Impfungen seit drei Monaten. Obwohl nur ein Bruchteil der Bevölkerung einmal oder doppelt geimpft ist, verspüre ich eine andere gesellschaftliche Atmosphäre als im Winter 2021. Zwar gibt es immer noch Impfgegner und Anti-Corona-Demos, allerdings freuen sich die Menschen in meinem Umfeld über den beginnenden Frühling und die Freiheiten, die das warme Wetter mit sich bringt. Der Frust über die Pandemiemassnahmen ist einer allgemeinen Unzufriedenheit über die Geschwindigkeit der Impfungen gewichen. Ich verspüre auch ein Gefühl von Aufbruch und sozialer Normalisierung.
Resume
Nach Abschluss meines Projekts muss ich sagen, dass ich den Eindruck hatte, es geht den meisten Menschen, die ich auf meiner Radtour interviewt habe, sehr gut. Zwar klagten manche über Nöte und Sorgen, dennoch schien mir, als wären alle im Grossen und Ganzen auf der selben Wellenlänge. Sicherlich mag das an der Umsetzung der Interviews gelegen haben - die schöne Natur, frische Luft und ländliche Weite entlang des Radweges Leipzig-Berlin hatten meiner Meinung nach keinen unmassgeblichen Einfluss auf das Befinden der Befragten.
Die meisten Leute, die ich nach einem Spontan-Interview fragte, lehnten ab interviewt zu werden. Womöglich waren darunter auch viele Meinungen, die die Personen nicht mit einem Fremden mit einer Kamera teilen wollten.
Was für mich als Projekt der Gegensätze begann fühlt sich im Resultat nach und guter Laune und Gelassenheit an.